Dienstag, 13. Juni 2017

Der Verräter

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Ein Bekenntnis und ein Donnerwetter


Roßlau/MZ. 

Am Drei-Königs-Tag erlangt die jahrhundertealte, eisenbeschlagene, eicherne Truhe pragmatische Zweckbestimmung - und wird als letztes verfügbares Sitzmöbel im Roßlauer Ratssaal okkupiert von Presseleuten. Die hatten sich vom traditionellen Roßlauer Polit-Frühschoppen ein opulentes Mahl an Nachrichten, Meinungen und Hintergründen versprochen.

Der zwanglose Meinungsstreit zwischen Bürgern und Politikern fokussiert sich 2005 wie selten zuvor auf ein einziges General-Thema, die geplante Städtefusion von Roßlau und Dessau. Befürworter und Gegner stehen sich gegenüber in unversöhnlichen Lagern. Die Kritiker fechten seit dieser Woche mit offenem Visier: Sechs Roßlauer Stadträte aus drei Fraktionen haben sich als Autoren einer Resolution unmissverständlich gegen den Zusammenschluss ausgesprochen (MZ vom 5. Januar, "Fusion - ohne Not und Vorteil?").

 Als Fusions-Fürsprecher bekennt sich am Donnerstag vormittag nun der Roßlauer Bürgermeister. Erstmals in dieser Deutlichkeit und Öffentlichkeit. Noch im November hatte sich Klemens Koschig bei einer Informationsveranstaltung im Roßlauer Gewerbeverein bedeckt gehalten hinter dem Schild der Auftragserfüllung: Schließlich habe der Stadtrat die Verwaltung mit dem Vertragsentwurf für die Fusion beauftragt. Nun nennt der Roßlauer Bürgermeister die Fusion "eine historische Herausforderung und Chance". Zugleicht macht Koschig klar, dass es in dieser existentiellen Frage keine Antwort ohne Urnengang geben kann. Das ist per Gesetz vorgeschrieben. Über die Form dieser Bürgerbeteiligung entscheidet der Stadtrat auf seiner nächsten Sitzung am 10. Februar. Dass dieser Urnengang ein Bürgerentscheid sein müsse, meinte im Dezember die Mehrheit im Hauptausschuss.

Für den Gesprächs- und Verhandlungspartner Dessau sind neben Oberbürgermeister Hans-Georg Otto auch Stadtratsmitglieder verschiedener Fraktionen zum Polit-Frühschoppen ans nördliche Elbufer gekommen. OB Otto blickt in seinem Eingangsstatement zurück auf den Weg, den der Gedanke von einer Doppelstadt Dessau-Roßlau seit Jahresende 2003 nahm. Damals sei ihm in einem Gespräch bei Bau- und Raumordnungsminister Karl-Heinz Daehre aufgegangen, wohin der Zug in Sachsen-Anhalt geht. 

Dass es im Land derzeit keine Mehrheit gibt für Großkreise. Dass die Landtagsmehrheit nicht zum Oberzentrum Dessau steht. Dass aber, wer Dessau in Frage stellt, Sachsen-Anhalt in Frage stellt, das sich aufreiben würde zwischen den zwei Polen Magdeburg und Halle. Und dass es ohne die Kreisfreiheit keine "lex Dessau" gäbe, die die Finanzausstattung fortschreibe. Kreisfreiheit und Oberzentrum - das sind für Dessaus ersten Mann zwei Seiten ein und derselben Medaille - die oberzentralen Funktionen und Angebote ohne die für die kreisfreie Stadt veredelten Zuweisungen nicht zu halten. "Dann wird Dessau wirklich ländlicher Raum."

Die offensive Werbung um Roßlau lässt in den Ohren von Landrat Holger Hövelmann die Alarmglocken schrillen, "nagt an der Lebensfähigkeit des Landkreises Anhalt-Zerbst." In einer Fusion sieht Hövelmann den zweiten Schritt vor dem ersten getan, will zunächst den Rahmen abstecken für die Region und deren Entwicklung auf eine längere Dauer und unabhängig von wechselnden politischen Machtverhältnissen. Bei springt dem Landrat hier Walter Fischer, Initiator der Bürgerinitiative für den Regionalkreis Anhalt. Am Montag will die Initiative die seit Herbst gesammelten über 6 000 Unterschriften an Ministerpräsident Wolfgang Böhmer überreichen. Ideen und Termini von Kreisreform und Städtefusion liegen zu nahe beieinander, als dass sie in der über zweistündigen Diskussion nicht verwechselt oder vermischt würden.
Die Meinungen sind konträr, aber nicht mehr unbekannt. Die Atmosphäre bleibt sachlich. Zum Ende erst gestattet sich OB Otto ein einziges emphatisches "Zum Donnerwetter!" gegen die wiederholte Beschwörung des Roßlauer Selbstbestimmungsrechtes: "Seien wir doch ehrlich: Was ist Selbstbestimmung, wo hört sie heute schon auf? War es Ihr Beschluss, kein Krankenhaus zu haben? Ist es Ihre Entscheidung, das Gymnasium zu schließen, ihr Wille, zwar den vordinglichen Bedarf, aber noch keine Ortsumgehung zu haben?"

Die Roßlauer vor dem Urnengang - ins Auge gefasst etwa ums Osterfest - im Detail aufzuklären, dafür haben nun Pro- und Contra-Seite in den nächsten Wochen Gelegenheit. Auch die gemeinsamen Beratungen der Hauptausschüsse sind jetzt öffentlich. Erstmals am 19. Januar.


– Quelle: http://www.mz-web.de/8973906 ©2017

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