Dienstag, 13. Juni 2017

In keiner anderen Stadt ist die Stimmung so schlecht

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DESSAU-ROSSLAU/MZ. Karl Lichtblau hat schon viele Städte gesehen und erlebt. "Doch in keiner anderen Stadt", sagt der Mann vom Institut der Wirtschaft in Köln, "war die Stimmung so dramatisch schlecht wie in Dessau-Roßlau." Ein halbes Jahr lang hat sich Lichtblau intensiver mit dem kreisfreien Oberzentrum an Elbe und Mulde auseinander gesetzt, hat Daten gesammelt, mit vielen Entscheidungsträgern vor Ort gesprochen. All das passierte im Auftrag der Stadt, die sich von externen Experten ein eigenes Wachstums- und Entwicklungskonzept gewünscht - und es in dieser Woche auch erhalten hat. "Ich weiß nicht, ob diese schlechte Stimmung die Realität ist, die Wahrnehmung ist es auf jeden Fall." Für Lichtblau erschwert das alles. "Die subjektive Stimmung in der Stadt schränkt die objektiven Rahmenbedingungen zusätzlich ein."



Wenig Überraschungen
Lichtblaus Präsentation am Montag im Ausschuss für Wirtschaft, Stadtentwicklung und Tourismus war mit Spannung erwartet worden. Große Überraschungen blieben aus. Wer im April die Zwischenpräsentation der Stärken-Schwächen-Analyse gehört hatte, der kannte vieles, der staunte allenfalls, wie sehr Lichtblaus vorgeschlagene Maßnahmen schon mit den zuletzt gestarteten Bemühungen der Verwaltung übereinstimmten. Was war da zuerst da? 

Dessau-Roßlau, so die ernüchternde Analyse, hat vor allem zu wenig. Zu wenig Studenten. Zu wenig wissenschaftliche Institute. Zu wenig funktionierende Netzwerke, die mehr als Lobbyismus betreiben. Zu wenig Exporte. Zu wenig Wertschöpfung aus dem Tourismus. Zu wenig Beschäftigte im Tourismus. Und Dessau-Roßlau hat ein demografisches Problem: Die Stadt verliert dramatisch an Einwohnern. All das sind Punkte, die Wirtschaftswissenschafter eigentlich wenig Stoff geben, Zukunftsperspektiven für eine Stadt zu entwickeln. In Dessau-Roßlau versuchten Lichtblau und Kollegen, aus der Not eine Tugend zu machen. 

Ihr Wachstums- und Entwicklungskonzept basiert auf drei Säulen: dem Faktor Wissen, dem Status als Oberzentrum und dem Tourismus. Allein in diesen drei Bereichen gibt es ihrer Ansicht nach Hoffnung, die Stadt nach vorn zu bringen. "Ich rate ihnen ab, auf den großen Investor zu warten", sagte Lichtblau und forderte die Stadt auf, "Tauschmengen" für die Region zu entwickeln. "Die Stadt Dessau-Roßlau allein wird es nicht schaffen, den Strukturwandel zu gestalten. Es muss Kooperationen nach innen und nach außen geben." Um für alles gewappnet zu sein. "Über kurz oder lang", sagte Lichtblau voraus, "wird es wieder Diskussionen über die Kreisfreiheit geben." 

Das Institut der Wirtschaft in Köln hat konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet. Im Bereich der Wirtschaft rät es zur Gründung von wissenschaftlichen Instituten, die am Biopharmapark Rodleben, am Städtischen Klinikum und am Umweltbundesamt angesiedelt sein können. Im Biopharmapark und am Klinikum gibt es dazu seit langem Gespräche. Im Bereich der Bildung soll eine Kooperation der Hochschule Anhalt und der Berufsbildenden Schule in Dessau forciert werden, wird ein Ausbildungszentrum für Pflegeberufe empfohlen. Das entspricht der Idee von einem Gesundheitscampus, die in der Stadt immer mal wieder auftaucht. Überhaupt sieht Lichtblau die Bildung als große Chance für die Stadt. Dem Traum von einer Dessauer Bauhaus-Universität erteilte Lichtblau zwar eine klare Absage. "Das hat keine Chance mehr." Eine Akademie für Aus -und Weiterbildung sei aber sinnvoller - und realistischer. 

Im Bereich des Verkehrs sieht Lichtblau vor allem die B 6n und den Hafen Roßlau mit dem begonnenen Ausbau als Industriegebiet als Chance. Die aus dem Harz kommende B 6n wird südlich von Dessau die die Autobahn 9 erreichen. Dort empfehlen die Kölner die Neuausweisung von Gewerbeflächen, unabhängig davon, dass dies Anhalt-Bitterfelder Gebiet ist. Lichtblau sieht hier eine Tauschmenge. Dessau-Roßlau hilft bei Errichtung und Vermarktung des Gewerbegebietes. Anhalt-Bitterfeld könnte sich im Gegenzug an der Finanzierung des Anhaltischen Theaters beteiligen. Das ist die Theorie. Das Beispiel setzt aber voraus, dass Anhalt-Bitterfeld die Dessau-Roßlauer Hilfe braucht und annimmt.



Zusammenarbeit im Tourismus

"Der Leidensdruck wird zunehmen", sah Joachim Hantusch, der Dessau-Roßlauer Dezernent für Wirtschaft und Stadtentwicklung, eine größer werdende Chance für eine regionale Zusammenarbeit, die vor allem im Tourismus notwendig ist. "Zu wenige Mehr-Tages-Touristen lassen zu wenig Geld hier", bilanzierte Lichtblau. Ändern lässt sich das nur gemeinsam unter der Dachmarke "Luther-Bauhaus-Gartenreich" - und mit einem regionalen Kultur- und Ausstellungszentrum, das die Kölner ausdrücklich forderten. In Dessau. Wo, das blieb am Montag offen. 

Bis das steht, gilt es, an der Stimmung in der Stadt zu arbeiten. Lichtblau empfahl mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen, eine verstärktes bürgerschaftliches Engagement und sah die städtische Wirtschaftsförderung als Motor für die Klimaverbesserung in der Stadt. Mitmachen müssen am Ende alle. "Es gibt in dieser Stadt so viele Vereine und Verbände", resümierte Lichtblau. "Doch es fehlt ein Ziel, ein Miteinander." Und es fehlt ein Stadtmarketing. "Das kann zwar nicht alle Probleme lösen. Es kann aber besser und stärker auf die Potenziale dieser Stadt hinweisen." Dass es diese gibt, ist unstrittig. 




Quelle: http://www.mz-web.de/7830170 ©2017


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